Qualitätssicherung à la ALCOA | Podcast-Gespräch mit Reinhard Schnettler und Dr. Thomas Menne

Autor: Chiara Cosentino

Letzte Änderung: 26.01.2024

In diesem Interview diskutieren Reinhard Schnettler (RS) und  Dr. Thomas Menne (TM) das ALCOA-Prinzip, eine Reihe von Richtlinien zur Gewährleistung der Datenintegrität in der pharmazeutischen Industrie. Das Prinzip besteht aus fünf Buchstaben, wobei jeder Buchstabe einen anderen Aspekt der Datenintegrität darstellt.

Der erste Buchstabe von ALCOA, „A“, steht für „zuweisbar“, was bedeutet, dass Daten einer bestimmten Person oder einem bestimmten Prozess zugeordnet werden können sollten. Dies ist wichtig, um sicherzustellen, dass die Daten korrekt sind und auf ihre Quelle zurückgeführt werden können. Das Prinzip gilt nicht nur für computergestützte Systeme, sondern auch für papierbasierte Systeme und andere Medienformen.

Der zweite Buchstabe, „L“, steht für „legible“ (dt. lesbar). Daten sollen leicht lesbar und verständlich sein.

Der dritte Buchstabe, „C“, steht für „contemporaneous“ (dt. zeitnah).  Daten sollten in Echtzeit aufgezeichnet werden –  so nah wie möglich am Zeitpunkt des aufgezeichneten Ereignisses.

Der vierte Buchstabe, „O“, steht für „original“ (dt. ursprünglich). Daten sollten in ihrer Originalform aufgezeichnet werden, ohne Änderungen oder Bearbeitungen.

Der letzte Buchstabe, „A“, steht für „accurate“ (dt. genau). Daten sollten korrekt sein und das widerspiegeln, was tatsächlich passiert ist.

Während des Interviews betonen Schnettler und Menne die Bedeutung der Datenintegrität in der pharmazeutischen Industrie und die Notwendigkeit für Unternehmen, dem ALCOA-Prinzip zu folgen, um sicherzustellen, dass ihre Daten korrekt, zuverlässig und auf ihre Quelle zurückgeführt werden können. Sie diskutieren auch, wie das Prinzip nicht nur auf computergestützte Systeme, sondern auch auf papierbasierte Systeme und andere Medienformen anwendbar ist.

Reinhard Schnettler: Herzlich Willkommen zu unsere Podcast Reihe Datenintegrität, heute möchten wir über das ALCOA Prinzip sprechen. Wir erkunden gemeinsam, wofür ALCOA steht, und dafür darf ich ganz herzlich begrüßen, in unserem PTS Studio in Arnsberg, Dr. Thomas Menne.

Thomas Menne: Herzlich Willkommen auch von mir, mein Name ist Thomas Menne, ich bin Biologe und habe in verschiedenen Unternehmen in der großen, kleinen oder mittleren pharmazeutischen BioNTech-Industrie gearbeitet und bin zurzeit bei der Firma Charles River an den Standorten Erkrath und Köln zuständig für Computer System Validierung und freue mich heute dabei sein zu dürfen.

RS: Schönen Dank, dass du hier hingekommen bist. Ich stelle mich auch kurz vor, mein Name ist Reinhard Schnettler, ich bin von Beruf Apotheker, habe die Firma PTS gegründet 1991 und seitdem sind wir unterwegs im Bereich GMP und im regulierten Bereich der Pharmaindustrie. „Regulierter Bereich“ ist ja das große Stichwort, wir wollen heute über das ALCOA Prinzip sprechen. Das ist die Übersetzung, mit Schlagworten, des Themas „Daten Integrität“ und das wollen wir heute erkunden und fühlen. Wir werden diese Buchstabenfolge so nach und nach aufrufen und dann darüber sprechen. So jetzt fangen wir also an mit „A“ wie im Alphabet, so Thomas was würde der jetzt bedeuten?

TM: „A“ würde bedeuten „Attributable“ oder auf Deutsch „Zuweisbar“, das heißt hier geht es im Wesentlichen darum, dass ich auch nachvollziehen kann, wer hat überhaupt was und womit gemacht. D.h., wenn ich jetzt irgendein Prozess darstelle, dass ich auch sagen kann: Es hat der Operator X gemacht, er hat meinetwegen die Zutaten Y genommen, hat es zu dieser Zeit gemacht, hat es auch entsprechend der Vorschrift gemacht und natürlich auch eben die Daten entsprechend abgelegt.

RS: Was du geschildert hast, sind ja nicht nur Daten auf Computer gestützten Systemen, sondern aller Voraussicht nach auch das, was man früher auch gemacht hat.

TM: Natürlich, also ALCOA ist Daten Integrität, welche nicht nur den Computer betrifft, sondern eben auch Papier oder eben auch andere Medien, die ich festhalten kann. Meinetwegen auch ein Print out von einem Thermodrucker, wobei dies sehr kritisch ist, weil ich dann natürlich auch eine Information habe, die nicht ewig erhalten werden kann. Ich muss sie halt irgendwo transformieren, sei es durch eine Kopie, die natürlich auch entsprechend lange halten muss oder eben durch einen Scan oder ein Foto.

RS: Also wir halten schon mal fest, was hier besprochen wird ist nicht nur auf computergestützte Systeme anzuwenden, sondern auf alle Systeme, auch papiergestützte Systeme. Und früher hat man es immer ohne Weiteres einfach so gemacht nur heute muss man eben unter diesen neuen Bedingungen, Stichwort papierloses Labor oder Produktion alle diese Dinge auch beachten.

TM: Die Prozesse sind komplexer geworden, früher habe ich meinetwegen einen „batch record“ ausgegeben, der wurde händisch ausgefüllt und letztendlich dann eben von der entsprechenden Abteilung geprüft, dann ging es an die QA, die hat es auch geprüft. Die Informationen wurden zusammengefasst und gingen an die sachkundige Person und dieses ganze Dokumenten Paket wurde dann ins Archiv gegeben wo sie dann zum Teil für viele Jahre, fünf, zehn oder fünfzehn Jahre lagert. Im Gegensatz dazu ist ein computergestütztes System natürlich so gesehen etwas anonymer, ich habe Daten, die irgendwo erbracht wurden von sensorischen Systemen, ich muss natürlich gucken, dass der Zustand, der gemessen wurde, natürlich dem auch entspricht was hinterher irgendwo auf einen Ausdruck erscheint. Ich habe heute nicht mehr nur ein Thermometer, was ich reinhalte, sondern eine ganze Messkette, die zum Beispiel mir hilft die genaue Betriebs Umgebung darzustellen. Hier haben wir dann heute auch den Punkt, dass natürlich auch Computersysteme auch auf ihre Fähigkeit getestet werden, auch hinsichtlich der Validität der Daten, die dann hinterher dargestellt werden. Man muss auch gucken, dass diese Daten, welche ich eben auch so nicht greifen kann und welche dann letztendlich Informationen auf meinetwegen Magnet Trägern sind, eben diese auch über viele Jahre aufrechterhalten werden. Es sind Daten in einem Format, welche man normalerweise gar nicht so lesen kann als normaler Mensch. Sie werden erst übersetzt meinetwegen auf einem Bildschirm oder meinetwegen in einem Report oder einer pdf-Datei oder sie verbleiben erstmal als Rohdaten in dem System. Und ich muss natürlich nach Jahren auch anhand dieses Systems oder einer späteren Übertragungen in ein nachfolge System, diese Daten wieder lesbar machen können.

RS: Also eben ist ein englisches Wort gefallen, nämlich „batch record“, das heißt auf Deutsch „Herstellungsprotokoll“. Du bist es ja gewohnt in deiner Firma sehr viele englische Ausdrücke zu benutzen. Also wir waren jetzt gerade bei dem Buchstaben „A“, der Lesbarkeit. Nächster Punkt wäre dann „L“.

TM: „L“, wie „legible“ oder „lesbar“ oder „nachvollziehbar“, das heißt natürlich auch ich beginne ein Prozess, ich führe einen Prozess aus, ich beende ihn. Das muss sich auch in der Dokumentation wiederfinden, das heißt ich muss zum Beispiel notfalls auf die Minute genau wissen, wann ich ein Prozess begonnen habe, wie lange bestimmte Prozessschritte dauerten und wann er praktisch beendet wurde. Ich muss natürlich auch darauf achten, dass ich Änderungen an Daten nachvollziehen kann, z. B. wenn Eingriffe erforderlich sind oder wenn ich bestimmte Werte maskieren muss, um eine vernünftige Standardreihe darstellen zu können. Es ist wichtig, dass ich immer nachvollziehen kann, was der ursprüngliche Wert war und warum ich Änderungen vorgenommen habe. Auch nach Jahren muss dies noch möglich sein. Wenn ich beispielsweise zurückdenke an Programme wie „Herbert Graphics“ aus dem letzten Jahrhundert, mit denen Präsentationen erstellt wurden, stellt sich die Frage, ob diese heute noch gelesen werden können. Auch alte Diskettenlaufwerke lassen sich heute oft nicht mehr nutzen.

RS: Das war der Buchstabe „L“, jetzt sind wir in der Mitte von „ALCOA“, bei „C“. Wofür steht das „C“ jetzt?

TM: „C“ steht für „contemporaneous“ steht, was so viel bedeutet wie „zeitgenau“. Wenn ich also einen Schritt ausführe, was meistens durch mein elektronisches System passiert, muss ich genau nachvollziehen können, wann ich ihn ausgeführt habe. Das gilt auch für komplexe Herstellungsprozesse. Jeder Schritt muss genau dokumentiert werden, auch hinsichtlich der Person, welche den Schritt ausgeführt hat, das gleiche gilt für Prozesse die schriftlich ausgeführt werden mit einem „batch record“ und das Ganze, dann natürlich auch zeitnah zu dem Zeitpunkt der Handlung. Zeitnah heißt hier eben „ohne schuldhaftes verzögern“, also so schnell wie möglich.

RS: Records sind also Berichte über bestimmte Vorgänge, die über Jahre unveränderbar und nachvollziehbar sein müssen. Damit wären wir nun beim Buchstaben „O“. Thomas, was genau bedeutet dieser Buchstabe?

TM: Dieser Buchstabe steht für „original“ oder auch „originär“, dazu benötige ich eine qualitativ hochwertige Datenaufzeichnung, die auch nach vielen Jahren noch lesbar und unverändert ist. Ich muss sicherstellen, dass die Integrität der Daten gewahrt bleibt und es zu keiner Manipulation kommt. Deshalb ist es wichtig, dass ich z. B. echte Tinte verwende, damit ich nicht einfach mit Tipp-Ex etwas wegmachen und überschreiben kann. Elektronische Daten müssen ebenfalls vor Veränderungen geschützt werden. Hier muss gewährleistet werden, dass die Entität der Daten, wenn diese nach vielen Jahren aus den Archiven herausgeholt werden, ob aus Papier oder elektronisch, immer noch dem entspricht was zurzeit reinkam. Wenn ich jedoch migrieren muss, sollte ich sicherstellen, meinetwegen auch wenn ich Papier einscanne, dass die Informationen auch nach der Migration noch korrekt sind.

Ein blödes Beispiel dafür ist, dass ich ein farbliches Chromatogramm habe und es schwarzweiß einscannen muss. Damit kann ich dann hinterher nicht viel anfangen.

RS: Das klingt ja spannend, denn in der elektronischen Szene ist nicht klar, was das Original ist. Jeder kann eine Kopie machen und es wird bereits von einer sogenannten „wahren Kopie“ gesprochen. Was ist das für ein Ausdruck?

TM: Eine „wahre“ Kopie oder auch „true copy“, aus Papier, ist eine Kopie, die dem Inhalt entspricht, ist eine wahre Kopie. Wenn ich jedoch eine farbliche Informationswiedergabe habe, dann wäre eine wahre Kopie natürlich auch eine Farbkopie, damit ich verschiedene Farbnuancen voneinander unterscheiden kann. Im elektronischen System ist das jedoch etwas anders. Gibt es überhaupt noch ein „Originales Rohdatum“? Wenn ich beispielsweise von einem Steuerrechner in einem Laborsystem eine Datei auf einem Server ablegen und diese später auf einen Archivserver übertragen muss ist die Information und die Eigenschaften der Datei genau die gleiche, der Inhalt ist also vergleichbar. Es gibt eigentlich gar keine „Kopie“ im herkömmlichen Sinne, sondern ich multipliziere Informationen. Natürlich gibt es auch Fälle, in denen ich über den gesamten Lebenslauf hinweg sicherstellen muss, dass die Datei in ihrer Gänze erhalten bleibt, insbesondere bei der Archivierung.

RS: Man denkt da so genau gar nicht drüber nach, wenn man Daten abspeichert, sehr interessant. Aber jetzt zum letzten Buchstaben, dem „A“ für „ALCOA“. Was bedeutet das?

TM: Es bedeutet natürlich, dass ich die Gänze der Daten auch entsprechend darstelle, sodass nichts fehlt. Wenn ich beispielsweise eine Analyse beginne und diese aufgrund eines Maschinenfehlers abbreche, dann ist auch der erste Versuch ein Teil der gesamten Datenaufzeichnung. Datenaufzeichnung bedeutet nicht nur, dass der letzte erfolgreiche Lauf dokumentiert wird, sondern auch der abgebrochene Lauf davor. Ich muss also sicherstellen, dass das gesamte Verfahren entsprechend wahrheitsgemäß abgelaufen ist. Dazu gehört eine Menge: Es muss entweder schriftlich oder durch eine elektronische Signatur dargestellt werden, wer diesen Prozess ausgeführt hat. Ich muss auch sicherstellen, dass alles vollständig vorhanden ist, was ich zuvor angegeben hatte. Ich muss auch entscheiden, welche Informationen notwendig sind, um beispielsweise einen ganzen Prozess abbilden zu können. Für Analysen habe ich beispielsweise bestimmte Analyten, die nicht ewig haltbar sind. Ich muss also die Eigenschaft irgendwo auf Papier oder in ein elektronisches System übertragen, selbst wenn der Analyt bereits Jahre zuvor verworfen wurde, weil sie einfach schlecht war.

RS: Ja, das wäre das letzte „A“ und das klingt ja ganz akkurat. Es bedeutet im Grunde genommen, dass man sich auch mit gesundem Menschenverstand so verhalten würde. Nur hat eben jeder im Labor auch eine Position zu vertreten. Unter den jetzigen Bedingungen, von IT-Systemen, also computergestützten Systemen, ist es eben einfacher zur fälschen, beziehungsweise Unwahrheiten zu sagen oder vielleicht auch unabsichtlich etwas zu tun. Es muss nicht immer unterstellt werden, dass es Betrug sei oder sonst etwas. Es kann auch ganz einfach nur menschlicher Fehler oder Unachtsamkeit sein. Aber im Grunde geht es jetzt darum, sich auf ganz solide Füße zu stellen mit „ALCOA“.

TM: Richtig und dafür validiere ich natürlich auch Prozesse oder eben auch computergestützte Systeme um darzustellen, dass sie eben manipulationssicher sind. Das heißt nicht wie du schon sagtest, dass alle Verbrecher sind. Ich kann ja auch einfach versehentlich irgendwann den falschen Knopf drücken. Ich kann Dateien löschen. Ich muss natürlich dann auch entsprechend sicherstellen, dass Dateien oder Informationen, die erbracht worden sind, eben nicht verändert werden können. Oder wenn sie verändert werden, dass es auch nachvollziehbar ist. Und wie war das, was ich hier eben sagte? Wie war der vorherige Wert, wie ist der jetzige Wert? Wer hat es gemacht? Was ist der Grund dafür zum Beispiel?

RS: Wunderbar. Jetzt haben wir dieses komplexe Thema. Es klingt ja einfach, „ALCOA“, sehr schön dargestellt. Wir können zum Schluss sagen, es gibt sogar noch „ALCOA+“. Kannst du etwas dazu sagen?

TM: Ja gut, man muss natürlich auch darstellen, „ALCOA“ kam aus den US-amerikanischen Bereich. „ALCOA+“ kommt eben aus dem europäischen Bereich. Daten, die erhoben sind, sollten auch schnellstmöglich abrufbar sein. Das hat auch ganz triviale Gründe. Wenn ich zum Beispiel eine alte Software habe und ein System außer Betrieb nehmen muss, muss ich natürlich gucken, wenn ich jetzt eine Datei in einem geschützten Format darstellen muss, dass ich entsprechende Systeme vorhalten muss, die das auch lesen können. Und da muss ich jetzt nicht fünf Jahre darauf warten, bis man irgendwann mal seinen alten Rechner ausgepackt hat, sondern es muss schnell sein.

RS: Wunderbar. Auch noch zum Schluss dann „ALCOA+“ erklärt. Schönen Dank, Thomas. Ja, jetzt haben wir das „ALCOA“- Prinzip erklärt, unter dem großen Schlagwort Datenintegrität. Allgemein zum Thema Datenintegrität haben wir auch noch in einem weiteren Podcast zusammengestellt und zusammengetragen. Das können Sie gerne bei uns auf der Seite schauen beziehungsweise unter dem Stichwort GMP-Podcast haben wir das auch online gestellt auf diversen Plattformen. Schönen Dank Thomas.

Disclaimer Die Darstellungen bilden den aktuellen Kenntnisstand, bzw. die Sichtweise des Vortragenden ab und dienen der Informationsvermittlung. Sie entsprechen nicht zwangsläufig der Meinung von Behörden, Inspektoren oder Auditoren. Obwohl sie mit großer Sorgfalt erstellt wurden, kann in Bezug auf die inhaltliche Richtigkeit, Genauigkeit, Aktualität, Zuverlässigkeit und Vollständigkeit dieser Informationen keine Gewährleistung übernommen werden.

Dieses Interview zwischen Reinhard Schnettler und Thomas Menne finden Sie als Audio und Video auf den folgenden Podcast Plattformen:

Spotify Logo Apple Podcast Logo Amazon Music Logo Audible Logo YouTube Logo

Dr. Thomas Menne ist seit 2016 bei Charles River Laboratories Germany GmbH und hat die Position Senior Manager CSV and Automation inne. In dieser Funktion betreut er die Europäischen Biologics-Standorte von Charles River. Davor war Thomas Menne in mehreren Funktionen bei kleinen, mittleren und großen biotechnologischen und pharmazeutischen Unternehmen in verschieden Positionen der Herstellung, Qualitätskontrolle und -Sicherung tätig. Bei der GQMA e.V. ist Dr. Thomas Menne seit 2023 Erster Vizepräsident.

Follow us.

PTS auf LinkedIn.