Energieeffizienter Betrieb von Reinräumen

Autor: Dr.-Ing. Detlef Behrens, Prof. Dr. Cornelia M. Keck, Prof. Dr. Frank E. Runkel

Letzte Änderung: 15.12.2023

Reinräume der Klasse C benötigen in der aseptischen Produktion von Arzneimitteln die größten Flächen und damit auch die größten Luftmengen zur Aufrechterhaltung der Luftreinheit. Der Aseptic Guide der FDA benennt hierbei eine Luftwechselrate von 20 h–1  als „typically acceptable“. Inwieweit dieser Wert zur Einhaltung der Grenzwerte für Partikel und koloniebildende Einheiten (KBE) gemäß der FDA-Richtlinie und des EU-GMP-Annex 1 erforderlich ist, wurde in dieser experimentellen Studie untersucht. Es zeigte sich, dass bei Verwendung geeigneter Reinraumbekleidung bereits ein 10-facher Luftwechsel ausreicht, um die Vorgaben sowohl für Partikel als auch für die zulässige Keimbelastung zuverlässig einzuhalten.

 

Einleitung

Die Frage nach der erforderlichen Mindest-Luftwechselrate (LWR) für Reinräume der Klasse C (ISO 8 in Betrieb) beantworten Mitarbeiter aus Herstellung und Technik oft mit „größer 20-fach pro Stunde“. Hintergrund dieser Aussage ist eine Textstelle im Aseptic Guide der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA): „Air change rate is another important cleanroom design parameter. For Class 100,000 (ISO 8) supporting rooms, airflow sufficient to achieve at least 20 air changes per hour is typically acceptable“. In einer früheren Auflage des Baseline Pharmaceutical Engineering Guides zu Sterile Manufacturing Facilities der International Society for Pharmaceutical Engineering (ISPE) wurde ebenfalls dieser Mindestwert empfohlen. In der seit 2018 verfügbaren 3. Auflage dieses Leitfadens wird dieser Wert jedoch nicht mehr genannt. Der Vorschlag lautet nun, die Lüftungsanlagen auf Basis der zu erwartenden Partikel- und Keimbelastung von Räumen in Kombination mit anderen Parametern wie z. B. der Erholzeit auszulegen. Die ISPE verweist hierzu ausdrücklich auf Sun et al., die ein Modell für die Reinraumtechnik beschreiben. Dies eröffnet die Möglichkeit, mit reduzierten LWR-Anforderungen unterhalb der FDA-Empfehlung von 20 h–1 auszukommen.

Bemerkenswert ist auch, dass die Empfehlung der FDA nur besagt, dass ein 20-facher Luftwechsel „üblicherweise akzeptabel“ ist, was nicht einmal eine konkrete Forderung darstellt.

In den GMP-Richtlinien der Europäischen Union, insbesondere im Annex 1 ist ebenfalls keine Vorgabe für die Mindest-Luftwechselrate gegeben.
Die Vorgaben beziehen sich hauptsächlich auf die Einhaltung der Grenzwerte für Partikel und koloniebildende Einheiten (KBE). Darüber hinaus wird eine Erwartung an die Erholzeit für das Erreichen des At-Rest-Grenzwerts nach der In-Operation-Phase von 15–20 min beschrieben.

Die FDA-Forderung an eine Mindest-LWR stammt aus den späten 1950er-Jahren. In dieser Zeit wurde in den USA eine LWR von mindestens
20 h–1 in Operationssälen gefordert. Diese Vorgabe wurde 1960 zum ersten Mal in der frühen Version des Federal Standards 209B aufgegriffen. Später wurde die Forderung von 20 h–1 für die Klasse 100 000 (ISO 8) widerrufen, da erkannt wurde, dass für die Aufrechterhaltung der Reinheitsklasse auch ein geringerer Luftwechsel ausreicht. Dennoch übernahm die FDA 1987 den Wert von 20 h–1 im Aseptic Guide und beließ diese Empfehlung auch in der 2004er-Revision des Guides.

Fedotov ermittelte in einer Studie, dass pharmazeutische Reinräume einen bis zu 25-fach höheren Energiebedarf haben als normale Büroräume. Tschudi beziffert den Energiebedarf für den Betrieb der Lüftungsanlagen, sog. HVAC-Anlagen (Heating, Ventilation and Air Conditioning), mit 50–75 % der Gesamtkosten für den Betrieb. Dass die erwartete Erholzeit von 15–20 min auch mit geringeren LWR erreicht werden kann, wurde bereits in früheren Studien gezeigt. Angesichts der aktuellen Diskussion über Energieeinsparungen und dem Bestreben nach CO2-Neutralität stellt sich die Frage, welche Mindest-LWR zur Erreichung der Partikel- und KBE-Grenzwerte überhaupt benötigt wird. Die Beantwortung dieser Frage ist Gegenstand der hier durchgeführten experimentellen Studie.

 

Diskussion

Mit Blick auf die Ergebnisse der Partikelmessungen zeigt sich für die im Annex 1 genannten Partikelgrößen >0,5 μm und >5 μm, dass selbst bei Verwendung ungeeigneter Kleidung die festgelegten Grenzwerte nicht einmal annähernd erreicht werden. Mit Reinraumkleidung wurden bei LWR 10 die In-
Operation-Grenzwerte um das ca. 10-fache (bei 5 μm) und das 70-fache (bei 0,5 μm) unterschritten. Die Notwendigkeit einer LWR 20 oder mehr ist hierbei zur Aufrechterhaltung der Reinraumklasse also nicht gegeben.

Generell wurde festgestellt, dass eine LWR 20 eine bessere Abreinigung der Partikelbelastung im Raum erzielt als eine halbierte LWR 10 h–1. Dies konnte erwartet werden, spielt aber im Hinblick auf die absolut gemessenen Werte keine wesentliche Rolle. Dennoch kann es Gründe geben, warum eine höhere LWR erforderlich ist:

  • zur Wärmeabfuhr beheizter Anlagen
  • bei prozessbedingt höheren Partikelemissionen, z. B. bei Verarbeitung von Pulvern

Räume mit diesen Anforderungen sind in aseptischen Produktionsbereichen aber eher die Ausnahme als die Regel. Sofern also keine besonderen
Anforderungen vorliegen, besteht keine Notwendigkeit, diese Räume mit einer höheren LWR als 10 h–1 auszulegen.

Dass bei den Partikelmessungen selbst mit kurzer Straßenkleidung keine Überschreitung regulatorischer  Grenzwerte festzustellen war, ist im Rahmen dieser Studie eine Überraschung. Dass Kompromisse bei der Qualität der Reinraumkleidung im Bereich der aseptischen Produktion dennoch nicht anzuraten sind, zeigen die Ergebnisse der Luftkeimmessung. Diese ist erforderlich, um auch die Keimemission des Personals effektiv unter Kontrolle zu halten. Bei einer von Moschner durchgeführten Untersuchung wurde ermittelt, dass Personal in reinraumuntauglicher Kleidung (Jogginganzug) bei Bewegung etwa 70-mal mehr Keime emittiert als mit reinraumgerechter Kleidung (Overall). Dies zeigt die klare Notwendigkeit geeigneter Reinraumbekleidungen, die aus dicht gewebten Polyesterfasern bzw. Folien gefertigt sind und somit keine Partikel oder Keime abgeben.

Im Vergleich zu den anderen Werten fällt der Unterschied zwischen den beiden Luftkeimsammlern bei LWR 10 auf. Hier liegt der Wert beim Impact Air mehr als doppelt so hoch als beim RCS-Messsystem. Der Grund hierfür könnte in der Positionierung beider Geräte liegen: Während der RCS in etwa 1,5 m Höhe innerhalb der Anlage platziert war, stand der Impact-Air-Luftkeimsammler im unteren Bereich der Prozessanlage. Emittierte Keime des Personals würden durch Sedimentation eher den Weg in die Ansaugöffnung des untenstehenden Geräts finden als in
das höher gelegene RCS.

Demnach ist auch zur Aufrechterhaltung des Keimstatus im Reinraum ein 10-facher Luftwechsel absolut ausreichend.

 

Fazit

Reinräume der Klasse C können anforderungsgerecht mit einer LWR von 10 h–1 betrieben werden, sofern nicht andere Anforderungen, wie
z. B. eine höhere Wärmelast der Produktionsanlagen, einen höheren Luftwechsel erfordern. Die Empfehlung im Aseptic Guide der FDA kann somit als deutlich übertrieben angesehen werden. Dies wurde auch bereits von der ISPE erkannt, die diese Empfehlung in der aktuellen Version des Baseline Guides  „Sterile Product Manufacturing Facilities“ nicht mehr enthält. Die FDA ist damit die einzige Organisation, die den Wert eines 20-fachen Luftwechsels noch in ihrer Richtlinie von 2004 empfiehlt. 19 Jahre später kann diese Empfehlung jedenfalls nicht mehr als Current Good Manufacturing Practice bezeichnet werden.

 

*) Gekürzter Beitrag aus cleanroom & processes 2023;2(2):74–79.

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Detlef Behrens war 20 Jahre als Projektmanager, Betriebsleiter und Betriebsingenieur u.a. bei Novartis, CSL Behring, Lichtwer Pharma und Henning Berlin tätig. 2011 gründete er die Behrens Projektmanagement GmbH. Er ist außerdem Dozent an den Hochschulen Marburg und Gießen im Bereich Qualitäts- und Risikomanagement.