Eine gegenwärtige Reflexion über die Qualifizierung und Validierung

Autor: Markus Roemer l comes compliance services, Ravensburg*)

Letzte Änderung: 20.12.2023

Qualifizierung und Validierung sind Themen und Aspekte, die wahrlich nicht neu sind und schon partiell als altbekannt verstanden oder gesehen werden. Es sind entsprechende Prozesse und Verfahren über die Jahre entstanden. Einerseits sind diese stetig gewachsen und auch organisatorisch geprägt oder wurden andererseits auf der Basis von Erkenntnissen aus diversen Projekten und Audit- und Inspektionssituationen spezialisiert festgelegt.

 

Status quo und Zukunftsthemen

Für die aktuell angesagten Themen wie Künstliche Intelligenz (KI) sind die derzeit geltenden GMP-Regeln noch nicht ausgelegt bzw. anwendbar. Klare Abgrenzungen und Definitionen sind hierbei absolut notwendig, wie z. B. die Begriffe tatsächliche KI und das maschinelle Lernen zeigen.

Ergänzend hierzu muss die geplante Aktualisierung der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG genannt werden.1) Diese soll die Themen in der kommenden und geplanten Aktualisierung beinhalten und wird vermutlich als EU-Verordnung in Kraft treten. Für Anlagen und Maschinen sind dort dann Referenzen auch im GMP Kontext (Kapitel 2.1 Pharmazeutische Erzeugnisse) als Spezifikationsgrundlage verwendbar und nicht nur den GMP-Regeln alleinig zu entnehmen.

Der Anhang 15 liegt in seiner gültigen Fassung seit dem Jahr 2015 vor. Die Vorversion stammt aus dem Jahr 2001. Eine Aktualisierung war dringend notwendig, weil signifikante Änderungen eingetreten waren. Anhang 15 bezieht sich dabei auch auf weitere substanzielle Informationen und Ansätze wie aus den Initiativen und den International- Council-for-Harmonisation- Leitlinien (ICH) Q8, Q9, Q10 und Q11 und EU QWP „Guidance on Process Validation“ (ergänzend auch ICH Q12). Um den Anhang 15 vollständig zu verstehen, ist eine Kenntnis dieser ICH-Dokumente und -Vorgaben (neues Qualitätsparadigma) notwendig und wichtig. Als wichtige Stichworte sollen die Qualityby- Design-Zulassung, Design Space, Control Strategy und die Relation von kritischen Prozessparameter (CPP) zu kritischen Qualitätsattributen (CQA) bzw. kritischen Materialattributen (CMA-Daten) also GMPDatenmanagement genannt sein. Der Anhang 15 unterscheidet in der aktuell gültigen Version z. B. zwischen der Concurrent Validation, Traditional Process Validation, der Continuous Process Verification und dem Hybrid Approach; für alle 4 Ansätze überspannend die sog. Ongoing Process Verification. Unter Umständen sind diese Ansätze noch für manche Unternehmen mit den Anforderungen und vor allem den verwendeten Definitionen von anderen Behörden (z. B. US-FDA Guidance for Industry – Process Validation) in Einklang zu bringen.

 

Klarheit für Begriffe und Definitionen

Es folgt ein Blick in die Praxis für die Qualifizierung und Validierung bzw. Verifizierung, die weit über das klassische oder eindimensionale Denken von DQ, IQ, OQ und PQ hinausgeht: Als Erstes führt die häufige und immense Verwendung von Anglizismen und deren näheren Interpretation bzw. Deutung zu großen Missverständnissen und Fehlinterpretationen mit schwerwiegenden Auswirkungen bezüglich Aufwand/Kosten, Sinnhaftigkeit, Verständlichkeit (intern und extern) und objektiver Risikobewertung und -reduzierung. Ein prägnantes Beispiel hierzu: Die Control Strategy sollte nicht als Kontrollstrategie übersetzt sein, sondern als (proaktives) Steuerungs- und Verifikationskonzept verstanden werden.

Als Zweites sollte die korrekte Verwendung von Begriffen und verschiedenen Definitionen genau benannt oder festgelegt sein. Missverständnisse und Kommunikationsfehler treten häufig dann auf, wenn völlig unterschiedliche Erwartungshorizonte und Begriffsauffassungen aufeinander treffen:
Man diskutiert z. B. in internen Meetings über eine (klassische) Maschinen- oder Anlagenqualifizierung, eine folgende Computersystemvalidierung (CSV) und eine Prozessvalidierung (PV) in einem qualifizierten Reinraum. Als nächstes wird dann erörtert, ob der Scanner oder Drucker an der Maschine ein Device, ein Equipment, eine (fremd-)Systemschnittstelle bzw. Anbindung oder ein Instrument sind, aber dass in der speicherprogrammierbaren Steuerung (SPS) eine Softwarevalidierung erfolgen sollte. Es wird für die Maschine generisch eine Part-11-Konformität gefordert – das Lastenheft beinhaltet aber rein technische Parameter, aber eben keine Nennung der kritischen Prozess- und Datengrenzen (CPP, CQA). Am Ende soll diese Maschinenebene noch mit einem elektronischen Batch-Recording- (EBR) und einem Unternehmensressourcenplanungs- System (ERP) verbunden werden. Es ist allerdings zum Gesprächszeitpunkt noch völlig unklar, wie man die aktuell etablierten Verfahren von papierbasierten Herstellanweisungen und den korrespondierenden Protokollen erzeugen und freigeben will oder überhaupt kann; wie die Rezeptsteuerung mit Parametern oder Inprozesskontrollen (IPK) ausgestattet werden könnten, bzw. wie die heutigen Prozesse in Zukunft aussehen sollen/können bzw. sogar müssten. Wer noch ein wenig mehr Verwirrung in solchen Meetings wünscht oder stiften will, kann auch eine Diskussion über Audit Trails (Review), Softwarekategorien oder Datenintegrität einstreuen. Derjenige, der einen Versuch zur Klärung unternimmt, dass

  • Equipment auf Deutsch ein Ausrüstungsgegenstand ist,
  • aber eine Maschinensteuerung ein computergestütztes System per Definition darstellt;
  • im Anhang 11 überhaupt nicht die Begriffe DQ, IQ, OQ und PQ vorkommen,
  • Softwarevalidierung als Begriff lieber für Medizinprodukte mit Softwareanteilen (SAMD) verwendet werden sollte, oder
  • das Lastenheft auf einem Prozess- Mapping (SIPOC, Swim-Lane-Modell, Data-Flow-Diagramm usw.) basiert und
  • die Risikobewertung auf (GMP-)Prozess- und nicht auf Funktionsebene (Arbeit des Lieferanten) erfolgen sollte,

der kann sich leicht in einer unbeugsamen Gegenargumentation wiederfinden: „Das haben wir aber schon immer so gemacht.“ Vielleicht gelingt es trotzdem, dass die Arbeitsgruppen und Teams beginnen in eine Richtung der Prozesse zu denken, die die arbeitsanteilige Prozess und Verfahrensschritte und die zulassungsrelevanten Produkt- bzw. GMP-Daten beinhalten. In Abb. 1 ist die Anwendbarkeit des Anhangs 11 und des Anhangs 15 schematisch
dargestellt.

Um im Bereich der Datenbetrachtungen GMP-Daten richtig zu verstehen, müssen diese auch für die Qualifizierung und Validierung definiert werden. In Gesprächen werden oft rein technische Datendefinitionen genannt, z. B. Stamm und Bewegungsdaten oder Meta-Daten. Dies ist zwar technisch gesehen
korrekt, aber im GMP-Kontext sind die Datentypen CQA, CPP, CMA und CSP für die Qualifizierung und Validierung zu nennen. Idealerweise schon in Lastenheften, Validierungsplänen und Produkt- und Prozessbeschreibungen.

Diese Daten sind initial aus der Entwicklung für die Prozessvalidierung zu beziehen.

 

Qualifizierung und Validierung 2.0

Wenn zeitgleich verfügbare Werkzeuge und Methoden, erhöhte Projektziele und Integrationsumfänge, anspruchsvollere Produkte und Prozesse für die Herstellung und Prüfung und neue Daten- und Wissensanforderungen (relative Neuigkeit) auftreten, dann kann es sinnvoll sein, das bestehende Validierungskonzept zu prüfen und unter Umständen neu auszurichten oder anzupassen.

Die einfache Frage muss lauten, ob das heutige Validierungskonzept mit seiner historischen Entwicklung oder Prägung zu diesen neuen und veränderten Herausforderungen passt. Zum Beispiel ist die Projektfähigkeit aus Validierungssicht für ein Digitalisierungsprojekt vorhanden? Oder, besteht ein potenzielles Risiko, dass man sich in der aufwendigen Durchführung von ständigen Downstream-Problemen mit methodischen und/oder systematischen Upstream-Ursachen verzettelt?

Zurück zu den Grundlagen: Eine Analyse der bestehenden Vorgabedokumente bzgl. Qualifizierung und Validierung ist dabei grundsätzlich empfehlenswert. Ebenso wichtig sind die korrekte Einordnung und Auffindbarkeit dieser Dokumente. Denn die Bedeutung der Begriffsklarheit im alltäglichen betrieblichen Sprachgebrauch darf dabei nicht unterschätzt werden.

Im nächsten Schritt sind die Methoden zu prüfen und verschiedene Hilfen (ZLG, PIC/S, ISPE) zu integrieren – falls diese anwendbar und als effizient beurteilt werden. Für das tatsächliche Vorgehen lohnt sich ein Blick in den eigenen Werkzeugkasten:

  • Wie werden Validierungsaufzeichnungen verwaltet und freigegeben?
  • Wie werden Inventarlisten über Systeme und Prozesse bzw. SOPs geführt?
  • Wie werden Aufzeichnungen als Vorlage bereitgestellt?
  • Wie werden Anforderungen und Tests dokumentiert?

Konzepte und Ansätze sollten klar beschrieben werden und in guten Validierungsmasterplänen transparent dargestellt werden. Nach diesem Upgrade ist die Qualifizierung und Validierung auch ein potenzieller Verwirklicher (s. dazu ICH Q10) für jedes Ingenieurs- und Projektvorhaben und nicht nur eine Dokumentationssammlung für eine mögliche Inspektionsanfrage und eben kein notwendiges Übel.

 

Warum Qualifizierung und Validierung?

Eine grundsätzliche Frage darf gestellt werden: Was ist die Motivation für die Qualifizierung und Validierung?

Eine Motivation könnte sein, dass eine der wichtigsten GMP-Entscheidungen im Unternehmen aus validen Datenquellen mit einem hohen Maß an Prozess- und Produktwissen entstanden ist. Und zwar Daten, die auf der Chargenzertifizierung der Sachkundigen Person, auf Prozess-, Monitoring- und Labordaten basieren.

Die zweite Motivation könnte sein, dass man die Projektfähigkeit damit begleiten und sicherstellen möchte. Damit man diese auch in der Betriebsphase weiterhin und vor allem nachhaltig betreiben kann. In der EMA-Guideline ist dies sehr prägnant dargestellt: “Process validation should not be viewed as a one-off event.”

Eine weitere Motivation ist die Reduzierung von Durchlaufzeiten in der Informationsverwaltung – von der Entwicklung bis zu Lieferanten und Dienstleistern hin. Hier muss man selbstkritisch in den eigenen Werkzeugkasten blicken. Eine Parole in Richtung Lean und Excellence 4.0 sollten alle Bereiche bei einer notwendigen Umsetzung mitnehmen können.

Wenn man diese 3 Motivationspunkte und deren Umsetzung in dem aktuellen Validierungskonzept erkennt oder nach Q&V-Upgrade erkennen kann, dann erhält man die Inspektionssicherheit noch obendrein dazu.

Es geht im Wesentlichen darum, dass man die (endlichen) personellen und monetären Kapazitäten und Aufwendungen punktuell auf die richtigen Validierungsthemen (Risiken) konzentrieren kann.

 

*) Gekürzter Beitrag aus Pharm. Ind. 2023;85 (4):346–352.
1) Die Maschinenverordnung 2021/0105 (mit KI) ist in der nächsten Revision geplant.

Disclaimer Die Darstellungen bilden den aktuellen Kenntnisstand, bzw. die Sichtweise des Vortragenden ab und dienen der Informationsvermittlung. Sie entsprechen nicht zwangsläufig der Meinung von Behörden, Inspektoren oder Auditoren. Obwohl sie mit großer Sorgfalt erstellt wurden, kann in Bezug auf die inhaltliche Richtigkeit, Genauigkeit, Aktualität, Zuverlässigkeit und Vollständigkeit dieser Informationen keine Gewährleistung übernommen werden.

Markus Roemer ist unabhängiger Berater bei comes compliance services. Seit 2008 ist er Botschafter für das Chapter Deutschland, Österreich und Schweiz bei der ISPE. Nach dem Ingenieurstudium hat Markus Roemer seine berufliche Laufbahn als Teammitglied der Computervalidierung bei der Vetter Pharma Fertigung in Ravensburg begonnen. Nach einem Wechsel zum Softwareanbieter Propack Data GmbH in Karlsruhe war er dort als Quality Manager für MES Projekte tätig. Ab 2003 hat Markus Roemer als Senior Validation Consultant bei der Invensys Validation Technologies in Montreal, Kanada, globale IT und Validierungsprojekte im Ausland begleitet. Bei der Firma Systec & Services konnte er anschließend seine globalen Kunden- und Lieferantenerfahrungen als Leiter des Compliance Services und Qualitätsmanagements einbringen.