Anhang 1: Anwendung | ATMP | Medizinprodukte | CCS | Produktion | PUPSIT | Isolatoren, RABS und LF

Autor: Reinhard Schnettler

Letzte Änderung: 19.05.2023

Seit Jahren ist der Anhang 1 in aller Munde, da die Fertigstellung ursprünglich bereits für das Jahr 2019 geplant war. Nun endlich ist er da, der neue Anhang 1.

Am 25.08.2022 wurde die neue Version im EU GMP-Leitfaden durch die Europäische Kommission veröffentlicht. Sie ist zum 25.08.2023 in Kraft getreten. Es sind noch viele praktische Fragen der Umsetzung offen, die beim Expertentalk „PTS Live“ ausführlich mit diesen Experten diskutiert wurden:

  • Rico Schulze, Sächsisches Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt, Dresden
  • Ruven Brandes, WDT eG, Garbsen

Hier erhalten Sie die Antworten unserer Experten auf die wichtigsten Fragen zum Anhang 1:

Anwendung des Anhang 1

Gilt der Anhang 1 nur für den Sterilbereich?

  • Betriebe, die nicht steril produzieren, sind nicht der Adressat des Anhang 1. Der Anhang 1 ist also nicht zwingend anzuwenden. Also was bringt es? Wenn die relevanten Teile des neuen Anhang 1 bei nicht sterilen Produkten angewendet werden, sind diese Vorteile zu erkennen: Das Rad ist nicht neu zu erfinden. Auch die Kommunikation mit den Inspektoren ist möglicherweise einfacher.

Wo würden Sie die Grenze zu nichtsterilen Produkten ziehen?

  • Die Grenze zu den nichtsterilen Produkte ist streng genommen die Forderung nach der Sterilität des Produktes. Wenn ein Produkt nicht steril ist, kann der Anhang 1 auf freiwilliger Basis auch die nichtsterilen Produkte und Prozesse sicherer machen. Der Anhang 1 gibt z.B. klare Hinweise auf die Qualifizierung von Räumen. Daher ist eine gemeinsame Sprache in der Kommunikation mit Behörden sichergestellt.

Also wer bemisst an was? Das Unternehmen hat ja gegebenenfalls eine andere Sicht als ein Kunde/Inspektor.

  • Immer interessiert das CCS! Auch für nicht sterile Produkte ist das Konzept des CCS relevant. Ein Beispiel: Für die Herstellung oraler Darreichungsformen kann die Reinraumklasse D relevant sein, damit ist ja auch der Annex 1 anzuwenden.

ATMP und Anhang 1

Ist es auch geplant, dass der EU-GMP Leitfaden Teil IV für ATMPs an den neuen Annex I angepasst wird? Bisher gelten für ATMPs ja ausschließlich die Vorgaben des Teil IV.

Ja, ist geplant.

Medizinprodukte und Anhang 1

Wir sind ein Medizinproduktehersteller (aseptische Herstellung): die neue 13408-1 liegt derzeit nur als Entwurf vor. Müssen wir deshalb den Annex 1 folgen (state of the art)?

Nein. Es sind unterschiedliche Regelungsbereiche. Der Anhang 1 ist für den reinen Medizinproduktehersteller nicht anwendbar: also nicht rechtsverbindlich.

Risiko

Welche Relevanz hat der risikobasierte Ansatz im neuen Anhang 1?

Der risikobasierte Ansatz hat einne hohe Relevanz im Anhang 1 oder Annex 1. Der Anhang 1 hat immer die Risikobewertung im Blick. Auf der Grundlage der Produktkenntnis ist die Risikobewertung und damit z.B. die Anwendung des Anhang 1 für nichtsterile Produkte auf freiwilliger Basis möglich. Risk Based ist ja neben Knowledge das meistgenannte Wording im neuen Annex 1.

Termine zur Umsetzung

Welche Termine zur Umsetzung des Anhang 1 sind zu beachten?

Die EU-Kommission hatte diese Auffassung: Es sind keine wesentlichen Neuerungen enthalten. Daher gibt es also keine Splittung der Fristen zur Umsetzung. Es gibt nur eine längere Frist beim Punkt 8.1.2.3 Sterilisation von Gefriertrocknern. Bisher gab es keine konkrete Entsprechung im alten Anhang 1. Also war bis August 2023 die Umsetzung aus Sicht der Betroffenen nicht möglich. Demnach erfolgt eine Fristverlängerung auf August 2024. Ansonsten gilt der Termin August 2023 für alle Anforderungen aus dem Anhang.

Welche Herausforderungen ergeben sich aus der Frist bis zum August 2023?

Für den sterilen Bereich sind die Umsetzungen klar. Die Herausforderungen sind eher die nicht sterilen Zubereitungen wie Medizinprodukte, ATMPs, Kombinationsprodukte als auch den oralen Darreichungen. Also Produkte, die sich in den Reinraumklassen bewegen, die benannt sind, aber nicht steril sind!

CCS

Was ist der Hintergrund von CCS?

  • Im Fokus steht: Wie erhalte ich ein Arzneimittel, das besser und nachvollziehbar hergestellt werden kann? CCS ist also nichts Neues aus Sicht von z.B. Deutschland. In Drittländern ist das möglicherweise nicht der umgesetzte Standard. Das CCS-Dokument könnte diese Struktur haben: Gerüstdokument, das auf vorhandenen Dokumenten basiert (z.B. Dokument zur Qualifizierung von Räumen, Monitoring etc.). In Deutschland ist das relevante AIM in den nicht-öffentlichen Teil verlegt. Die Inspektorate erarbeiten ein FAQ-Dokument zum neuen Anhang 1. CCS wird wahrscheinlich ein sehr wichtiger Punkt in diesem FAQ werden.

Ist CCS eine Chance für die Unternehmen?

  • Das CCS ermöglicht eine integrierte Sichtweise auf alle Aspekte der Kontaminationen! Sind alle Aspekte abgedeckt oder gibt es noch Lücken (Gap analysis)? Also bevorzugt CCS keine dezentralen Lösungen, besser ist eine systematische Sicht z.B. zur Risikoanalyse. Eine Vorgehensweise zum CCS ist: die Eingliederung im Quality Manual und in der CCS tatsächlich eine sehr ausführliche FMEA, die Anlage zum Quality Manual.

Wie würden Sie die CCS gestalten? Wäre es hinreichend auf die Kernthemen einzugehen und auf die Prozesse zu verweisen? Sonst würde jeder Change ggf. einen Change der CCS nach sich ziehen?

  • Gerüstdokument und ja, so ist ein sinnvoller Start möglich.

Produktion

Die Angaben im Annex 1 zu Reinraumklasse D beziehen sich ja immer auf die der Herstellung steriler Arzneimittel. Würden Sie es legitim finden, daher bei nichtzutreffenden Forderungen zu Reinraumklasse D dies zu bewerten und begründet nicht wie gefordert umzusetzen?

Es gibt einen Spielraum, speziell bei nicht sterilen Produkten.

Visualisierungen der Luftströmung

Mir ist aus dem neuen Annex I nicht klar, wann und wie man künftig Air Flow Visualization Studies anwenden soll und wann man die Clean Up Zeit bestimmen muss. Können Sie hierzu etwas sagen?

  • Die Visualisierung hat einen höheren Stellenwert erhalten. Gründe sind: bessere Transparenz bei unidirektionalen Strömungen. Die Ziffer 4.15 fordert diese Visualisierungen sowohl im Zustand in Operation und at Rest. Bei turbulenten Luftströmungen ist die Clean Up Zeit nutzbar (Punkt 4.32).

Dann wird erwartet, dass sich die Hersteller selbst Verneblungsgeräte anschaffen und diese Visualisierung selbst durchführen, korrekt?

  • Nein. Eine Delegation ist möglich. Wichtig ist nur die Durchführung von Smoke Studies.

Isolatoren, RABS und LF

Müssen Isolatoren angeschafft werden?

  • Der Isolator ist der Königsweg! Die Reihenfolge ist vorzugsweise: ein Isolator, danach RABS offen, und zuletzt RABS geschlossen.

RABS und Isolatoren sind im Anhang 1 bevorzugt. Was ist denn mit dem simplen Gebrauch von Laminar Air Flow Sicherheitswerkbänken in einer B Umgebung?

  • Die erforderliche Qualität ist ja bisher immer produziert worden. Behördliches Handeln muss angemessen sein. Die Begründung ist immer wichtig, daher können auch LF-Einheiten angewendet werden. Auch bei Neubeschaffungen ist weiterhin LF möglich. Wichtig ist das Thema menschliche Eingriffe sehr kritisch zu betrachten. Dies gilt für LF-Einheiten und ist ebenso ein kritischer Punkt bei der Auslegung größerer Anlagen.

Brillen im Reinraum

Können Sie noch etwas zur neuen Forderung des Tragens einer Brille/ Maske in den Reinräumen A/B sagen? Wir haben bisher beim Test von Brillen immer Probleme mit anlaufenden Brillen und sehen die entstehende Kondensflüssigkeit aus Atemluft als Hygienerisiko zumal es bei uns keine direkte Produkthandhabung in B gibt, sondern unter A, welches eine Glasscheibe zur Trennung hat zwischen Produkt und Operator.

Es gibt Brillen, die nicht anlaufen. Eine Brille ist anzuwenden.

Bereich A

Jetzt ist gefordert: Null, keine Kontamination. Was bedeutet das?

Ziel ist das Risiko auf Null zu reduzieren. Also ist keine akzeptierte Kontamination mehr möglich. Bei Kontaminationen ist die Root Cause Analysis wichtig. Also CAPA-Maßnahmen durchführen, die wiederum mit dem CCS in Verbindung zu bringen sind. Demnach ist nicht automatisch eine Nicht-Freigabe der Charge bei Kontamination die Folge.

Mitarbeiterqualifizierung

Erstqualifizierung und APS sind Aspekte der Personalschulung. Wie oft darf die Spirale der Neuqualifizierung durchgeführt werden?

Dies muss innerbetrieblich festgelegt werden. Möglicherweise ist der Einsatz in diesen kritischen Bereichen nicht mehr angezeigt. Die Disqualifizierung ist nach dreimaligen negativen Durchläufen der APS gefordert.

PUPSIT

Was ist gefordert beim PUPSIT?

Ein Test vor Einsatz des Filters ist nun gefordert. Die Anforderungen sind wesentlich auf die Wünsche der Behörde aus Australien zurückzuführen. Die Ziffer 8.87 erlaubt Ausnahmen des PUPSIT.

Was ist mit kleinen Spritzenfiltern mit denen das Produkt selbst nicht filtriert wird, aber z.B. Nährmedien, die zum Produkt hinzugegeben werden? Zum Beispiel bei Herstellung zellulärer Produkte.

Risikobetrachtung ist hier angezeigt. Basis ist der konkrete Einzelfall.

 

Der Anhang 1 – ein stark diskutiertes Thema in der GMP-Welt. In regelmäßigen Abständen informieren unsere Experten in Livetalks und Seminarenz und beantworten die Fragen aus Ihrer Alltagspraxis. Aktuelle Termine finden Sie über die Seminarsuche.

 

Disclaimer
Die Darstellungen bilden den aktuellen Kenntnisstand, bzw. die Sichtweise des Vortragenden ab und dienen der Informationsvermittlung. Sie entsprechen nicht zwangsläufig der Meinung von Behörden, Inspektoren oder Auditoren. Obwohl sie mit großer Sorgfalt erstellt wurden, kann in Bezug auf die inhaltliche Richtigkeit, Genauigkeit, Aktualität, Zuverlässigkeit und Vollständigkeit dieser Informationen keine Gewährleistung übernommen werden. Alle Angaben ohne Gewähr.