Das Branchentreffen für die Pharmawelt: 29. GMP-Konferenz in Kassel
Neben dem Update zu aktuellen Neuerungen gab es Vorträge und Diskussionsrunden zum Einsatz künstlicher Intelligenz im pharmazeutischen Bereich, Anforderungen der FDA, Maßnahmen zur Versorgungssicherheit, GAMP 5 Second Edition, Umsetzung des Annex 1 und Annex 21, Pharma Law Review sowie Prüfpräparaten und hochaktiven Wirkstoffen, Remote Zertifizierung, Titandioxid, E-Validation, Cloud Lösungen zur Archivierung von Daten, Nutzung von Smartphones in Unternehmen und dem Geschäftsgeheimnisgesetz.
Die 29. GMP-Konferenz fand auch in 2023 wieder hybrid statt, mit einer Live-Übertragung aus dem Schlosshotel Bad Wilhelmshöhe in Kassel. Die Konferenz war sowohl vor Ort als auch online sehr gut besucht. Reinhard Schnettler, Gründer und Geschäftsführer von PTS, eröffnete die Konferenz und führte in das Programm für die beiden Tage ein. Anna Diehl und Dr. Josef Landwehr moderierten die Inhalte, welche wieder in abwechslungsreichen Formaten präsentiert wurden. Von der Keynote Speech über klassische Vorträge, Interview und Live-Podcast, bis zu den beliebten Formaten Question & Answer Sessions und Round Tables war alles dabei. Die Interaktion zwischen Präsenz- und Online-Teilnehmern wurde durch das PTS-Team stets im Auge behalten und entsprechend moderiert.
Keynote: Kann eine KI eine QP ersetzen?
Die recht provokante Frage wurde von Dr. Jörg Stüben, Boehringer Ingelheim International GmbH, direkt zu Beginn der Konferenz in den Raum gestellt. In Zeiten von chatGPT, KI-Avataren und dem Einsatz von künstlicher Intelligenz in alltäglichen Standardanwendungen wie Microsoft Office, ist es nur eine Frage der Zeit, bevor KI auch in den regulierten Pharmasektor routinemäßig Einzug hält.
Noch lautet die Antwort auf die Frage zwar „nein“, es folgt allerdings direkt ein „aber“: Nein, nach heutigem Stand der Entwicklung kann eine KI eine (menschliche) QP nicht ersetzen, aber es gibt viel Potential für den Einsatz von KI, wie z.B. bei visuellen Inspektionen und automatisierten Prozessen (Dokumentenerstellung, Inprozesskontrollen, Prozessoptimierungen). Zudem kann eine KI die QP in ihrer Entscheidungsfindung unterstützen durch Trendanalysen, Prüfung von Dokumenten und das Aufzeigen von ähnlichen Fällen aus der Vergangenheit.
Derzeit bieten die in der GMP eingesetzten Regelwerke keine Hilfestellung im Umgang mit künstlicher Intelligenz, aber es gibt viel Diskussion in diesem Bereich, so dass hier zukünftige Anpassungen zu erwarten sind. Um die Vorteile von KI bestmöglich zu nutzen, müssen die Risiken von zu viel bzw. zu wenig Kontrolle adressiert und abgewogen werden. Dennoch fasste es Herr Dr. Stüben in seinem Schlusswort zu Recht so zusammen: „KI ist gekommen, um zu bleiben.“
Erfahrungen aus FDA-Inspektionen und alternative Methoden
Seit der vollständigen Umsetzung des MRA zwischen den USA und der EU Ende 2019, gilt die gegenseitige Anerkennung von Inspektionen für Fertigarzneimittel, Wirkstoffe und biotechnologisch hergestellte Arzneimittel. Wie Katja Kotter von der Vetter Pharma-Fertigung GmbH in ihrem Vortrag darstellte, führt die FDA jedoch weiterhin Pre-Approval Inspektionen (im Rahmen der Zulassung von Produkten) in Europa durch.
Wie Frau Kotter mehrfach betonte, ist bei der Vorbereitung auf eine FDA-Inspektion eine regelmäßige interne Abstimmung zum Stand der Vorbereitung und zur Festlegung von Maßnahmen unerlässlich. Hierzu gehören das Formular 483, welches Beobachtungen und Diskussionspunkte der letzten Inspektion enthält, sowie die „Pre-Requests“ des Inspektorenteams. Auch muss geklärt werden, welche Einheit der FDA kommt (ORA, CDER, CBER oder CDRH), für welche Dauer und unter welchem Scope die Inspektion stattfinden soll.
Im September und Oktober 2023 wurden zudem zwei neue FDA Draft Guidances to Remote Regulatory Assessments veröffentlicht. Remote Assessments werden weiterhin nicht als Inspektion gewertet und dienen primär dazu, die Einhaltung der geltenden FDA-Anforderungen bewerten zu können.
Versorgungssicherheit, Vermeidung von Lieferengpässen – was wird unternommen?
Thomas Porstner vom PHAGRO Bundesverband des pharmazeutischen Großhandels e. V. adressierte das Thema Versorgungssicherheit. Das im Juli 2023 in Kraft getretene Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) sollte hier Abhilfe schaffen.
Allerdings sieht Herr Porstner eine große Hürde im lückenhaften Informationsaustausch zwischen allen Beteiligten. Seiner Ansicht nach muss die Resilienz und Transparenz von Lieferketten adressiert werden, indem z.B. Wirkstoffhersteller ebenfalls mit einbezogen werden.
Sein Fazit: Der Handel mit Arzneimitteln ist ein wirtschaftliches Unterfangen, in welchem betriebswirtschaftliche Fragen eine bedeutende Rolle spielen. Da das ALBVVG nur an kleinen Stellschrauben drehen kann, kann dieser Eingriff durch die Politik bzw. Gesetzgebung nur mäßigen Erfolg haben.
Nutzung von Smartphones und Social Media in Unternehmen
In einem Impulsvortrag wurde von Dr. Ingo Schneider, Castringius Rechtsanwälte und Notare, die Notwendigkeit erläutert, die Nutzung von privaten Smartphones in Unternehmen bzw. die private Nutzung von dienstlichen Smartphones unbedingt zu regeln.
Auch sollten Mitarbeitende sensibilisiert werden, dass ihre privaten Äußerungen und Posts auf Social Media durchaus zu Schadensersatzforderungen vom Arbeitgeber führen können, sollten diese eine geschäftsschädigende Auswirkung haben.
Question & Answer (Q&A) Sessions
Im Anschluss an den Impulsvortrag starteten die Q&A Sessions zu den folgenden Themen:
- Prüfpräparate Verordnungen und Guideline (Rico Schulze)
- Hochaktive Wirkstoffe und Containment (Dr. Thomas Adam)
- FDA Quality Management Maturity (QMM) (Dr. Christian Gausepohl)
- E-Validation – Erfahrungen mit CSV & Lessons Learned (Dr. Thomas Menne)
ISPE GAMP5 – Second Edition – Enabling Innovation
Markus Roemer von comes compliance services stellte den Konferenzteilnehmern die Neuigkeiten der zweiten Auflage des ISPE GAMP 5 vor, welche Ende Juli 2022 veröffentlicht wurde. Die Entscheidung, keine komplette Neufassung (also einen GAMP 6) zu erstellen, sondern eine second edition des GAMP 5, beruht darauf, dass die grundlegende Struktur und die Prinzipien des GAMP 5 beibehalten wurden.
Da sich die IT-Landschaft seit 2008 deutlich verändert hat, wurden einige Anpassungen und Erweiterungen in der zweiten Auflage nötig. Hierzu zählen die Aspekte Critical Thinking (Kapitel 2), Agile Software Entwicklung (Kapitel 3) und IT Service Management (Kapitel 4). Auch auf den verstärkten Einsatz von Cloud-Technologien, Softwaretools und Automatisierung sowie der gestiegenen Bedeutung von Dienstleistern wurde eingegangen.
Wesentliche Änderungen gab es in den Anhängen M (Management), D (Development), O (Operations) und S (Special Interest). Neu sind die Management Anhänge M11 (IT Infrastruktur) und M12 (Critical Thinking), die Development Anhänge D8 (Agile Software Development), D9 (Software Tools), D10 (Blockchain) und D11 (Künstliche Intelligenz/Maschinelles Lernen).
Aktuelle GMP-Neuerungen
Im beliebten Interview-Format stellte sich GMP-Inspektor Klaus Eichmüller, Hessisches Landesamt für Gesundheit und Pflege, den Fragen von Dr. Josef Landwehr von PTS Training Service.
Das Konzeptpapier zur Revision des Annex 11 beschreibt 33 Gründe für die Überarbeitung, da das Dokument aus 2011 in einigen Bereichen nicht mehr dem Stand der Technik entspricht. In den 15 Jahren seit der letzten Überarbeitung ist ein großer Regelungsbedarf entstanden, besonders unter dem Aspekt der Vereinbarkeit von GMP-Anforderungen mit KI und maschinellem Lernen, wie bereits in der Keynote Speech aufgezeigt wurde.
Die Konsultationsfrist endete im Januar 2022, ein Entwurfsdokument soll im Dezember 2024 zur Konsultation freigegeben werden.
Herr Eichmüller teilte noch einige interessante Erfahrungen aus Inspektionen im Bezug auf den Annex 15 mit dem Konferenzpublikum und appellierte an Unternehmen, die Reinigungsvalidierung von Lohnherstellern zu prüfen und vorgelegte Gutachten ggf. kritisch zu betrachten.
Neues aus Brüssel und Berlin
Julia Rumsch vom BPI Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. sprang kurzfristig für den erkrankten Herrn Brückner ein und präsentierte die aktuellen Neuigkeiten zur Revision der EU-Arzneimittelgesetzgebung, welche nach 20 Jahren benötigt wird, auch bedingt durch technologische Entwicklungen und Erkenntnisse aus der Covid19-Pandemie.
Kernpunkte der Legislativvorschläge
- Verkürzung des Basis-Unterlagenschutzes auf 6 Jahre mit möglicher Modulation
- Strengere Maßgaben für Hersteller mit Blick auf Lieferengpassmanagement/-meldungen
- Stärkeres Augenmerk auf die Umweltverträglichkeitsprüfung
- Digitale Verfahren werden gestärkt
- Schlankere Struktur der EMA
- Schnellere Zulassungsverfahren / Variations / Rolling Review / Regulatory Sandboxes für neue Therapien
- Anreize für die Herstellung prioritärer Antibiotika (sog. Voucher)
Die Beschäftigung mit diesen Punkten durch den Gesetzgeber ist ab Anfang 2024 geplant.
Das EU-Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz könnte in dieser Legislaturperiode noch verabschiedet werden. Als Neuerung soll es eine Matchmaking-Plattform zum Austausch zwischen den Mitgliedsstaaten zu Engpässen und entsprechenden Regelungen geben, welche wiederum den Medikamentenaustausch vereinfachen und beschleunigen soll.
Unter dem Punkt „Neues aus Berlin“ präsentierte Frau Rumsch ein Update zu securPharm, das zeigte, dass die 2023 im System verzeichneten Abgaben bereits über dem geplanten Zielbereich lagen. Die Alarmquote blieb weitestgehend stabil und hat ein Plateau von etwa 3500 Alarmen erreicht. Ein System zur direkten Behebung eines versehentlich ausgelösten Alarms wird derzeit entwickelt, um die Anzahl tatsächlicher Alarme akkurat auswerten zu können
Zum Thema 3rd Party Audits wird ein Expertengremium unter dem Dach des VDI Grundlagen für die Durchführung beleuchten und Empfehlungen aussprechen. Die EU GMP-Guidelines oder ISO Dokumente berücksichtigen diese bisher nicht adäquat.
Annex 1 – Live Podcast
Auch ein Live Podcast gehörte in 2023 wieder zum Programm der GMP-Konferenz. Das Thema Annex 1 wurde von Ruven Brandes, WDT, und Rico Schulze, Sächsisches Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt, diskutiert. Der Annex 1 trat am 25. August 2023 nach einer einjährigen Übergangsfrist in Kraft.
Da der Annex 1 nicht mehr nur für sterile Arzneimittel gilt, sondern auch im nicht-sterilen Bereich Anwendung finden kann, sind mehr Hersteller als zuvor betroffen. CCS (Contamination Control Strategy) war der Hauptteil der Überarbeitung, somit sollten überall wo Kontaminationsverhinderung eine Rolle spielt, Teile des Annex 1 Anwendung und Beachtung finden.
Weitere Diskussionspunkte waren das Kapitel 3 zum PQS (Pharmazeutischen Qualitätssystem), in welchem zwei wichtige Begriffe erwähnt werden: Risk Management, das den roten Faden des Annex 1 bildet, und Senior Management, ein Begriff, bei dem Klärung nötig ist bezüglich der genauen Definition.
Round Tables Runde 1
Die Round Tables wurden ebenfalls wieder hybrid durchgeführt, so dass auch die online Teilnehmenden in dieses interaktive Format gut einbezogen wurden. In Runde 1 gab es folgende Themen:
- Umsetzung des Annex 21 (Rico Schulze)
- Remote Zertifizierung und Freigabe durch die QP (Klaus Eichmüller)
- Deep Dive Titandioxid (Dr. Daniela Allhenn)
Pharma Law Review: Entwurf 2023 und mögliche Konsequenzen
Dr. Fatima Bicane vom BAH Bundesverband der Arzneimittelhersteller präsentierte den langen Weg bis hin zum Entwurf, und die 6 wichtigsten Ziele (Key Objectives), die da lauten:
- Shortages – Availability
- No single market – Access
- Budgets – Affordability
- Environmental Sustainability
- Competitive regulatory framework
- Combat AMR
Die drei erstgenannten Ziele werden als „Triple A Objective“ zusammengefasst.
Die Implementierung der Triple A Objectives führt zu geplanten Neuerungen im Bereich Zulassung.
- Hier soll es eine Opt-In-Möglichkeit von Seiten der Länder geben, welche so ihr Interesse an einem Inverkehrbringen eines bestimmten Arzneimittels in ihrem Land bekunden können. So müsste innerhalb von 30 Tagen das entsprechende Land mit einbezogen werden, was Konsequenzen für die mögliche strategische Planung zum Start der Marktphase in unterschiedlichen Ländern haben würde.
- Ebenfalls fußt die Zulassung im Entwurf auf einer vierten Säule, indem ein ERA (environmental risk assessment) durchgeführt werden muss. Bei unzureichender Dokumentation in diesem Bereich kann eine Zulassung verweigert werden. Auch Rückrufe und Verbot können durch Umweltaspekte ausgelöst werden.
- Zulassungen sollen des Weiteren unbegrenzt gültig sein und nicht mehr auf 5 Jahre beschränkt. Die sogenannte Sunset-Clause, welche das Erlöschen der Zulassung bei Nicht-Inverkehrbringen in drei aufeinanderfolgenden Jahren zur Folge hatte, wurde gestrichen.
- Beim Zurückziehen der Zulassung durch einen Zulassungsinhaber, welches meist aus wirtschaftlichen Gründen geschieht, soll es verpflichtend werden, die Zulassung an interessierte Dritte zu vertretbaren Konditionen („on reasonable terms“) zu übertragen, damit diese die Herstellung/Vermarktung fortführen können.
Round Tables Runde 2
In der zweiten Round Table Runde wurden die folgenden Themen vertieft diskutiert:
- Umsetzung des Annex 1 (Rico Schulze)
- Aktuelle Themen in GMP-/GDP-Inspektionen (Klaus Eichmüller)
- Cloud Lösungen zur Archivierung von Daten (Markus Roemer)
Geschäftsgeheimnisse
Im abschließenden Vortrag klärte Rechtsanwalt Dr. Ingo Schneider, Castringius Rechtsanwälte und Notare, die Anwesenden darüber auf, was ein Geschäftsgeheimnis darstellt und welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um es bestmöglich zu schützen.
Dr. Schneider zeigte auf, welche Bedingungen gleichzeitig erfüllt sein müssen, damit eine Information als Geschäftsgeheimnis bezeichnet werden kann.
Ein wichtiger Punkt des Vortrags war für alle Anwesenden sicher der Hinweis, dass der Einsatz von Formulierungen in Verträgen mit Mitarbeitenden, Kunden oder Geschäftspartnern, in welchen weder konkrete Inhalte noch Personen, Konsequenzen und Maßnahmen aufgeführt werden, sogenannte „Catch-All-Klauseln“, keine wirksame Maßnahme zum Geheimnisschutz und somit nicht sinnvoll sind.
Reflexion und Abschluss
Es wurde wieder eine rundum gelungene GMP-Konferenz in ansprechendem Ambiente präsentiert. Neben den immer im Fokus stehenden Grundsatzthemen, sowie den Neuerungen aus 2023 bot das diesjährige Konferenzprogramm ein weitgefasstes Themenspektrum. Ein Fokus auf Internationales wurde erreicht durch die Themen FDA-Inspektionen und FDA-Quality Management Maturity und die Interpretation der europäischen Entwicklungen. Aus aktuellem Anlass wurde der Blick auf zukunftsweisende Themen wie den Einsatz künstlicher Intelligenz im pharmazeutischen Bereich gerichtet.
Wie immer gab es auch bei dieser GMP-Konferenz Raum für den persönlichen Austausch, sowohl in den interaktiven Programmpunkten als auch während des Abendprogramms an Tag 1. So wurde die Balance zwischen Wissensvermittlung und Netzwerken wieder gut getroffen. Die nächste GMP-Konferenz wird die 30. Jubiläumskonferenz vom 06.-07.11.2024 in Köln sein.
Steering Committee
Für die Gestaltung und Koordination der 29. GMP-Konferenz sind Vertreter der Hochschule
Albstadt-Sigmaringen, der angeführten Wissenschaftsgesellschaften, Behörden und Industrie verantwortlich.
Dieses Steering Committee setzt sich aus folgenden Mitgliedern zusammen:
- Pharmaziedirektor Klaus Eichmüller, Hessisches Landesamt für Gesundheit und Pflege
- Reinhard Schnettler, PTS Training Service, Arnsberg
- Dr. Christa Schröder, Hochschule Albstadt-Sigmaringen
- Rico Schulze, Sächsisches Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt, Dresden